Zum Kriegsdienst gezwungen
Der bewaffnete Konflikt in Kolumbien dauert seit über 60 Jahren an. Da der Bedarf an neuen Kämpfern gross ist, werden junge Menschen von der Armee oft auch gegen ihren Willen und mit illegalen Mitteln rekrutiert. Die Comundo-Fachleute Yina Avella und François de Riedmatten klären sie über ihre Rechte auf und entwickeln mit ihnen gemeinsam Präventions- und Schutzmassnahmen.
Der jahrzehntelange bewaffnete Konflikt in Kolumbien wurde zwar im Jahr 2016 offiziell beendet. Doch Paramilitärische Gruppen, Guerillas, illegale bewaffnete Banden und die Armee bekriegen sich weiterhin. Die Konflikte werden meist in ländlichen Gebieten ausgetragen, die Soldaten jedoch in armen Vierteln von Grossstädten wie Bogota rekrutiert. Viele Familien, die ohnehin stark benachteiligt sind, leben in ständiger Angst davor, ihre Kinder an den Krieg zu verlieren.
Kriegsdienstverweigerung aus Gewissensgründen – ein Grundrecht
«Nadie será obligado a actuar en contra de su propia conciencia – Niemand ist verpflichtet, gegen sein Gewissen zu handeln.»
Dieser Grundsatz wird von der kolumbianischen Armee systematisch missachtet. Immer wieder nutzt sie das Unwissen junger Männer aus, um sie gegen ihren Willen zu rekrutieren. Bis zu 70.000 neue Mitglieder sollten bis 2021 in die Reihen der Armee aufgenommen werden. Bei meiner Partnerorganisation Justapaz haben in den letzten Monaten und Jahren zahlreiche junge Männer um Unterstützung gebeten, einer von ihnen war Pedro*. Pedro ist 20 Jahre alt. Den Soldaten, die ihn an der Bushaltestelle anhielten, gab er jedoch vor, 17 Jahre alt zu sein. Pedro lügt in Bezug auf sein Alter – um zu überleben, denn die kolumbianische Armee darf nur Volljährige rekrutieren. Und weil er nicht in einen der längsten und gewalttätigsten Konflikte, der in Kolumbien je ausgetragen wurde, verwickelt werden will.
*Name aus Sicherheitsgründen geändert
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Pedro erzählt, wie die Angst vor einer Zwangsrekrutierung seinen Alltag prägt.
«Ich will meine Gitarre in den Händen halten und nicht ein Gewehr!» Pedro
Aufklärung hilft, sich selbst zu schützen
Die Razzien der Armee erfolgen mehrheitlich in armen, benachteiligten Stadtvierteln und werden von einer Gruppe von Soldaten an belebten Orten durchgeführt, etwa an Bushaltestellen, in Parks oder Einkaufszonen. Dort halten sie junge Männer an, nehmen ihnen die Ausweispapiere ab und fordern sie auf, für weitere Abklärungen im Bataillon zu erscheinen. Auf diese Weise üben die Behörden Kontrolle über junge Erwachsene aus. Denn in Wahrheit handelt es sich um eine Einladung auf freiwilliger Basis und nicht um eine Verpflichtung. Die meisten Vorgeladenen wissen das jedoch nicht. Und die Armee hütet sich davor, sie darauf hinzuweisen.
Kommen die Männer erst einmal ins Bataillon, gibt die Armee vor, sie hätten sich freiwillig gemeldet. Auch die Eltern sind meist nicht über die Rechte ihrer Söhne informiert und können deshalb nicht für diese einstehen.
«Hier setzen wir bei Justapaz an: Wir bieten rechtliche Beratungen an und führen Workshops durch zur Sensibilisierung der jungen Männer für ihre Rechte.» Yina Avella
Vielen Dank für Ihre Unterstützung!
«Benachteiligte Jugendliche und junge Erwachsene haben das Recht auf Bildungsmöglichkeiten und ein gewaltfreies Leben. Dafür setzen wir uns in Kolumbien dank Ihrer Spende ein.» Yina Avella und François de Riedmatten
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Der Rechtsanwalt Andrés Aponte ist in der Rechtsabteilung von Justapaz tätig. Er berichtet, welche Folgen die Rekrutierungspraktiken der Armee für junge Menschen haben.
Kinder als Kriegsmaschinen missbraucht
Die Armee darf keine Minderjährigen rekrutieren. Doch Kinder und Jugendliche sind trotzdem in die Kämpfe verwickelt, denn von Guerilla-Gruppierungen werden sie sehr wohl rekrutiert. Laut dem Parlamentarier Ivan Cépeda sind während der Regierungszeit von Präsident Iván Duque mindestens 22 Minderjährige bei Bombenangriffen der Armee auf illegale bewaffnete Gruppen ums Leben gekommen. Sie waren zwischen 10 und 17 Jahre alt und müssen nach internationalem Recht als Opfer des Konflikts angesehen werden. Sie werden jedoch von der Regierung wie Kriegsmaschinen behandelt.
Nach Angaben des IKRK wurden in der ersten Hälfte des vergangenen Jahres 21 Minderjährige Opfer von Sprengkörpern. Laut COALICO (Coalición contra la vinculación de niños, niñas y jóvenes al conflicto armado en Colombia) waren im Laufe des Jahres 2021 mehr als 5.000 Minderjährige entweder von Bombenangriffen oder von Angriffen auf Schulen, Krankenhäuser oder andere öffentlichen Gebäude betroffen. Mindestens 151 Fälle von Minderjährigen, die von illegalen bewaffneten Gruppen zwangsrekrutiert wurden, sind dokumentiert worden.
Die Jugend mobilisiert sich
Angesichts der vielen Kinder und Minderjährigen, die im Rahmen des bewaffneten Konflikts ums Leben kommen, werden auch Jugendverbände aktiv. So z.B. in Quibdó, der Hauptstadt des Departements Chocó an der Pazifikküste Kolumbiens. Hier wütet der Konflikt besonders stark, denn das Gebiet ist reich an natürlichen Ressourcen und strategischen Strassen für den Drogenhandel. Eine Gruppe von Jugendlichen organisierte mit Unterstützung von Justapaz ein Forum mit Politikern und Politikerinnen, die für das kolumbianische Parlament kandidieren. Im Fokus standen mögliche Strategien gegen Zwangsrekrutierung und Massnahmen zur Stärkung der Rechte junger Menschen auf Bildung, Gesundheit und Arbeit.
Initiativen und Dialoge wie diese sind wichtige Beiträge, um die Gewaltspirale zu stoppen und den Friedensprozess voranzutreiben. Die Botschaft der Jugend ist deutlich: Sie wollen ihre Potentiale nutzen, sich bilden und künstlerischen Tätigkeiten widmen, statt im Krieg verletzt oder gar getötet zu werden. Das Land hat schon genug unter den kriegerischen Auseinandersetzungen gelitten.
Von Yina Avella | 5. Mai 2022 | Kolumbien
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François de Riedmatten
Journalist
François de Riedmatten stärkt unsere Partnerorganisation Casitas Bíblicas im Bereich der Kommunikation, um junge Menschen besser über ihre Rechte aufzklären zu können. Gemeinsam fördern sie in benachteiligten Stadtvierteln von Bogotá den Aufbau einer Friedenskultur, die auf der Achtung der Menschenrechte und Gerechtigkeit beruht.