«Wir haben das Recht zu leben!»
Unweigerlich kommt einem die Geschichte von David gegen Goliath in den Sinn, sieht man die Kinder oder alten Menschen, die sich gegen übermächtige bewaffnete Gruppen zur Wehr setzen. Doch es gibt Hoffnung.
Die Männer, Frauen und Kinder tragen zur Verteidigung lediglich einen Stab, geschmückt mit grünen und roten Bändern. Er ist die einzige «Waffe», die ihnen im ungleichen Kampf gegen stark bewaffnete Drogenbanden oder paramilitärische Gruppierungen bleibt. Doch es ist eine mächtige Waffe; nicht um damit physische Gegengewalt auszuüben, sondern weil er ein Symbol ist. Er steht für die Macht des Wortes der Ahnen. Jene, die den Stab tragen, haben in den indigenen Gemeinschaften Kolumbiens das Recht und die Pflicht zu sprechen und ihr Leben, sowie ihr Grund und Boden zu verteidigen. So auch in der Region Cauca, die besonders umkämpft ist.
Die Menschen – rund 300'000 Indigene leben in dieser Region – werden seit Jahren vertrieben, verschleppt, zwangsrekrutiert oder sogar getötet. Es geht um Landressourcen und die Vorherrschaft im Drogenhandel. Die Menschen haben Angst, sind auf sich alleine gestellt. Vom «offiziellen Frieden» im Land spüren sie wenig. Trotz Friedensabkommen, welches 2016 verkündet wurde.
«Wenn ich sterben muss, dann möchte ich das hier,
in meinem Land tun, es mit Kopf und Herz verteidigend!»
Oveimar Tenorio, politischer Koordinator der Indigenen Garde (CRIC)
Der Stock steht aber auch für eine Bewegung von rund 12'000 Menschen, der indigenen Garde (CRIC). Sie umfasst alle Altersgruppen. «Ohne die CRIC und seine aussergewöhnliche Stärke wären die Auswirkungen des Krieges in der Region heute weitaus verheerender», erklärt Sozialanthropologe und Comundo-Fachperson Tullio Togni. Tullio hilft der Bewegung Tag für Tag, Menschenrechtsverletzungen in den ländlichen Gemeinden zu registrieren, zu überprüfen und sichtbar zu machen. Es geht um Drohungen, Vertreibungen, sogar um Morde.
Nicht mit Waffengewalt will die CRIC sich wehren, sondern mit der Masse. Nur wenn sich alle zusammenschliessen, ist ernsthafter Widerstand möglich und kann sich etwas ändern, ist Oveimar Tenorio überzeugt: «Der bewaffnete Kampf ist nicht unser Weg. Unsere einzige Möglichkeit besteht darin, Kopf und Herz zu vereinen, um das Land zu verteidigen. Es ist notwendig, die Wahrheit zu suchen, Erinnerungen an das Geschehene zu schaffen und die Grundlagen dafür zu legen, dass sich diese Gewalt nicht wiederholt». Oveimar ist einer der neuen und bedeutenden Anführer dieser Bewegung, seit sein Vorgänger 2022 ermordet wurde. Und auch er ist permanent der Gefahr ausgesetzt, sein Leben zu verlieren. «Würde ich davonlaufen, würde es wie Schwäche aussehen. Wir müssen zusammenstehen, denn nur gemeinsam können wir uns der Ungerechtigkeit entgegenstellen. Wir wollen endlich friedlich auf unserem Grund und Boden leben können.»
Von Tullio Togni | 8. November 2024 | Kolumbien
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