Wie Jesús stricken lernte
Petronila Champi (82) und Jesús Guzman (79) gehen seit über 40 Jahren gemeinsam durch dick und dünn. Mit zunehmendem Alter und gesundheitlichen Problemen will sie niemand mehr beschäftigen. Die bescheidene Rente reicht kaum zum Überleben. Also strickt Jesús Wollmützen und Petronila züchtet Hühner. Andere ältere Menschen in Peru sammeln und verkaufen Abfall. Von Fabienne Haldimann
Früher sammelten auch sie leere Flaschen und verkauften sie weiter. Mit Covid-19 und den strengen Einschränkungen haben Petronila und Jesús diese Möglichkeit verloren, ihre schmale Rente aufzubessern. Vielen älteren Peruanern ergeht es ähnlich: Die staatliche Rente reicht nicht zum Leben, Arbeiten auch im hohen Alter gehört daher für viele von ihnen zum Alltag.
Kallarisunchis, eine Partnerorganisation von Comundo, versorgt die von Armut betroffenen älteren Menschen bei Bedarf nicht nur mit Lebensmittel und Medikamentensondern; sie hilft ihnen zusammen mit Comundo selbstständiger zu werden: So lernte Jesús während der Pandemie dank Kallarisunchis stricken, während wir Petronila beim Kauf von Hühnern unterstützten. Der Verkauf ihrer Produkte auf dem lokalen Markt hilft den beiden, ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Bei einem Besuch bei ihnen zuhause erzählten mir Jesús und Petronila von den Schwierigkeiten ihres Alters, ihren Ängsten und der Herausforderung, täglich ums Überleben kämpfen zu müssen.
Im kurzen Video-Interview berichtete mir Petronila u.a. von ihren beschwerlichen Sammelaktionen; mit leeren Glasflaschen versuchte sie ihren Lebensunterhalt aufzubessern:
Zusammen überleben – seit 30 Jahren
Seit bald 30 Jahren gehen Jesús und Petronila gemeinsam ihren Weg. Sie trotzen den schwierigen klimatischen Bedingungen auf 3400 m.ü.M ebenso wie der sozialen Ausgrenzung und den prekären Lebensumständen, die sie Tag für Tag begleiten. Ursprünglich aus Limatambo zog das Paar vor mehr als 10 Jahren nach Cusco um. Petronilas Gesundheit verschlechterte sich, Operationen mussten bezahlt werden. Auf einmal reichte das Geld nicht mehr, um die Miete zu bezahlen. Als die mageren Ersparnisse aufgebraucht waren, kaufte Jesús Sohn das Grundstück im Stadtteil San Jerónimo, auf welchem Petronila und Jesús heute leben. Die beiden sind dankbar dafür, insbesondere, da sich die leiblichen Söhne von Petronila wenig bis gar nicht um ihre Mutter kümmern, egal, wie schwierig deren Situation auch ist. Leider ist auch das eine Realität vieler Senioren und Seniorinnen in Perú: Die Kinder wenden sich von den Eltern ab, wenn diese älter und gebrechlich werden, und empfinden die älteste Generation der Familie als Last. Es ist keine Seltenheit, dass Menschen im hohen Alter von ihren eigenen Kindern aus dem gemeinsamen Zuhause verstossen werden, weil das Geld bei allen knapp ist und die erwachsenen Kinder nicht den Lebensunterhalt für ihre Kids UND ihre Eltern aufbringen können.
«Die Kinder wenden sich von den Eltern ab, wenn diese älter und gebrechlich werden, und empfinden die älteste Generation der Familie oft als Last.»
«Kämpfen Sie mit mir gegen Altersarmut in Peru. Ich danke Ihnen!»
Fabienne Haldimann
Soziale Ausgrenzung konkret bekämpfen
Ein weiterer wesentlicher Teil unserer Arbeit besteht darin, die soziale Ausgrenzung zu bekämpfen. Deshalb organisieren wir in regelmäßigen Abständen Veranstaltungen wie die "Watia", ein Tag der sozialen Begegnung mit einem Aktivitätsprogramm für ältere Menschen.
Erstes gemeinsames Mittagessen seit 2,5 Jahren
Das folgende Video zeigt die kürzlich durchgeführte erste "Watia" seit Ende der Pandemie. Die Freude der Senioren und Seniorinnen, sich wieder treffen zu können, war unbeschreiblich! Sehen Sie selbst...
Anlässe wie die Watia bieten uns nicht nur die Gelegenheit zu schönen Begegnungen und Kontakten mit älteren Menschen, sondern hier können wir in Erfahrung bringen, wie es ihnen geht, welche Sorgen sie plagen und welche Bedürfnisse sie haben. Das ist wichtig, denn die oft sehr einsamen älteren Leute haben einen Wunsch nach sozialer Teilhabe; sie sehnen sich nach einen Raum für Austausch und emotionale Bindungen.
Bemühungen um eine minimale Rente
Schon bis Jesús und Petronila überhaupt eine kleine Altersrente beziehen konnten, war es ein langer Weg. Denn in Peru besteht kein genereller Anspruch auf eine Rente, sondern diese muss regelmässig beantragt werden. Doch während der Pandemie wurden die monatlich umgerechnet 65 Schweizer Franken, die das Ehepaar zugute hätte, über Monate nicht mehr ausbezahlt. Dem Staat fehlte es an Ressourcen zur Überprüfung aller Gesuche und an Geld für die Auszahlung. Kallarisunchis verteilte während dieser schwierigen Zeit Lebensmittelpackete an die Bedürftigen, was dem Paar half, irgendwie über die Runden zu kommen.
Neue Fähigkeiten schaffen Einkommen – und helfen zu überleben
Insbesondere die Pandemie drang Jesús dazu, alle möglichen Arbeiten anzunehmen, die er konnte: Wenn er die Möglichkeit hatte, half er beim Schälen von Mais oder bei der Produktion von Tierfutter. Schon vor einiger Zeit hatte er in einem von Kallarisunchis organisierten Kurs das Stricken erlernt. Während der Pandemie nahm er diese Arbeit wieder auf. Petronila, früher ebenfalls passionierte Strickerin, kann dieser Arbeit aufgrund ihrer Sehschwäche schon länger nicht mehr nachgehen. Sie hilft aber ihrem Mann wo sie kann, um die schönen Wollmützen, Handschuhe, Schals und Pullis herzustellen, die auf den Touristenmärkten von Cusco so begehrt sind.
Meine Partnerorganisation Kallarisunchi kennt und unterstützt hunderte von älteren Menschen in ähnlichen prekären Situationen wie Jesús und Petronila. In Notsituationen ist Kallarisunchis die einzige Anlaufstelle in San Jerónimo, wo gut 240 Senioren und Seniorinnen in extremer Armut leben. Dies bietet mir die Möglichkeit, meine Erfahrungen und mein Wissen zielgerichtet einzusetzten zugunsten dieser armutsbetroffenen älteren Menschen.
Von Fabienne Haldimann
Begleiten Sie mich in der Bildergallery durch die veranstaltete "Watia"
Von Fabienne Haldimann | 8. September 2022 | Peru
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