Was ist Nicarabua?
Schüler der Gravesano-Mittelschule treffen die Fachperson Marco Ventriglia. Er stellt ihnen sein Projekt vor, in dem er in Nicaragua arbeitet. Chronik eines Vormittags der Sensibilisierung mit Jugendlichen zwischen Neugier und Idealen, Gesprächen über internationale Solidarität und Lebensgeschichten.
Morgens um 8.15 Uhr herrscht in der Mehrzweckhalle der Mittelschule in Gravesano bereits Aufregung.
An diesem Dienstag anfangs Oktober ist eine besondere Aktivität für die Schüler der zweiten und dritten Klasse geplant. Menschen "von außerhalb" kommen, um etwas über ein fernes Land und die Arbeit eines Mitarbeiters zu erzählen, der eigentlich aus der Nähe kommt: Marco Ventriglia, der derzeit in Nicaragua tätig ist, ist in Bioggio aufgewachsen und hat als Junge für die lokale Mannschaft von Gravesano-Bedano Fußball gespielt. 2016 ging er zum ersten Mal in einen Comundo-Einsatz und seitdem hat sich sein Leben so sehr verändert, dass er beschloss, zurückzukehren und sich in dort - also in NIcaragua - niederzulassen: Heute hat er eine nicaraguanische Familie, lebt in León und arbeitet in Somoto, im Norden des Landes.
Wir beginnen im Freien: Anna Maspoli, Sensibilisierungsbeauftragte von Comundo Büro Bellinzona, bricht das Eis mit einer Bewegungsaktivität.
"Wer hat einen Namen, der mit A beginnt?" Aline, Alessio und Allison treten vor.
"Wer hat schon einmal in einem Gemüsegarten gearbeitet?" Ein paar mehr bewegen sich.
"Wer hat schon einmal vom Klimawandel gehört?" Diesmal treten fast alle vor.
"Wer hat schon einmal etwas von Nicaragua gehört?" Stille. Alle stehen still. "Aber was ist Nicarabua?", fragt plötzlich jemand.
Anna und Marco schmunzeln: Deshalb sind sie ja hier.
Klimawandel und Wiederaufforstung
In den vergangenen 70 Jahren hat Nicaragua 50% seiner Waldfläche verloren. Eine weitere Studie zeigt, dass zwischen 2011 und 2018 1,4 Millionen Hektar Land zerstört wurden:
«Stellt euch eine Fläche vor, die so gross ist wie das Tessin, Graubünden und das Wallis - ein Drittel der Schweiz - und die vollständig mit Bäumen bedeckt ist. Versucht euch nun vorzustellen, wie sich die Landschaft und das Leben in diesem Gebiet verändern würden, wenn es keine einzige Pflanze mehr gäbe. So viel Wald ist in Nicaragua in den letzten siebzig Jahren verschwunden», sagt Marco während seiner Präsentation.
Die Ursachen sind vielfältig, die langfristigen Folgen katastrophal. Deshalb unterstützt Marco zusammen mit einer lokalen Organisation (APRODEIN, Asociación de Profesionales para el Desarrollo Integral del Nicaragua) Bauernfamilien bei der Wiederaufforstung ungenutzter Grundstücke. Die gepflanzten Bäume bekämpfen nicht nur den Klimawandel, sondern stellen auch eine wirtschaftliche Chance für die Erzeuger dar.
Heute Morgen ist Marco hier, um mit den Schülern über Aufforstung, Nachhaltigkeit und die Kreislaufwirtschaft zu sprechen: "Was glaubt ihr, warum in Nicaragua so viele Bäume gefällt werden?", fragt Marco. "Weil wir Platz zum Anbauen brauchen!", "Auch um Häuser und Straßen zu bauen!", "Weil wir Holz für viele Dinge verwenden!". Die Antworten sind vielfältig und relevant. Marco führt das Konzept der Nachhaltigkeit ein: "Das ist in Ordnung. Was wir zeigen wollen, ist, dass Bäume eine wertvolle Ressource sind und wir viele Produkte aus ihnen herstellen können, ohne ganze Landstriche abholzen zu müssen", und er zeigt drei Möglichkeiten, wie Holz aus der Wiederaufforstung in Zusammenarbeit mit nicaraguanischen Bauernfamilien in die Praxis umgesetzt wird: handwerkliche Produkte, Biokohle* und Holzdestillat (oder Pyrolegnosesäure). Dies ist nur ein Beispiel dafür, wie wir etwas gegen den Klimawandel tun können. Aber auch hier in der Schweiz kann man einen Beitrag leisten, zum Beispiel indem man mit dem Velo fährt oder weniger Fleisch isst", schlägt der Comundo-Mitarbeiter vor.
* Bei Biokohle handelt es sich um Holzkohle, die durch Pyrolyse von organischem Material, in diesem Fall Holz, gewonnen wird. Die Pyrolyse ist eine spezielle Methode der thermochemischen Zersetzung, die unter Ausschluss von Sauerstoff und mit Hilfe spezieller Geräte durchgeführt wird. Die Moleküle des erhitzten Materials spalten sich auf und es entsteht eine spezielle Holzkohle, die verschiedene Verwendungsmöglichkeiten bietet, z. B. als natürlicher Dünger.
Etwas Konkretes tun
Die Präsentation findet im Rahmen einer besonderen Initiative statt, die das Büro in Gravesano seit etwa fünfzehn Jahren fördert, wie einige Lehrerinnen und Lehrer erklären: "Zu Beginn unterstützte das Büro einige in der Region Tessin tätige Vereine", erinnert sich Giovanni Benzoni, ehemaliger stellvertretender Schulleiter, "hauptsächlich auf Anregung der Lehrerschaft. Im Laufe der Zeit wurde beschlossen, die Schüler mehr und mehr einzubeziehen, bis wir den Punkt erreichten, an dem sie selbst entscheiden konnten, an wen sie sich wenden wollten: Die verschiedenen Vereine können sich über Formulare vorstellen, die online heruntergeladen werden können, aber die Wahl liegt in den Händen der Mädchen und Jungen."
«Der Lehrplan der dritten und vierten Klasse sieht vor, dass wir viel über aktuelle Ereignisse und globale Herausforderungen sprechen. Die Mädchen und Jungen sagen mir manchmal direkt, dass für sie Kriege, Ungerechtigkeit, die Klimakrise schwer zu akzeptieren seien. Wenn sie sich für ein konkretes Projekt engagieren können, fühlen sie sich weniger machtlos. Es ist wichtig zu wissen, dass es bereits Menschen gibt, die etwas verändern wollen, und dass wir als privilegierte Menschen unseren Teil dazu beitragen können und müssen», erklärt Benzoni, Geschichts- und Geografielehrerin.
Die ganze Schule nimmt teil
"Warum habt ihr euch für dieses Projekt entschieden?", fragen wir Beatrice Pusiol, Filippo Lambertini und Rebecca Gianfreda, die sich bereit erklärt haben, sich mit uns zu treffen und als Vertreter der Schule porträtiert zu werden. "Als die Lehrerinnen und Lehrer uns diese Idee vorstellten, erschien sie mir sofort als etwas Schönes. Ich war heute bei Marcos Präsentation dabei und war erstaunt, wie viel Mühe es gekostet hat, sie in die Tat umzusetzen", erklärt Rebecca. "Meiner Meinung nach sollten wir alle Vereine unterstützen, die jemandem helfen wollen", ergänzt Filippo. "Letztes Jahr haben wir uns für einen Verein entschieden, der Frühgeborenen hilft, und meine Familie hat mich sehr unterstützt, weil ich auch zu früh geboren wurde", sagt Beatrice, "aber der diesjährige Vorschlag gefällt mir auch sehr gut.
"Letztes Jahr haben wir, die wir in der ersten Klasse waren, eine sportliche Aktivität gemacht: Man läuft Runden um die Schule und für jede Runde, die man läuft, findet man Sponsoren, die etwas für einen einwerfen", erinnert sich Filippo. "Es gab welche, die Kuchen, Kekse, Brot, Apfelsaft, ... verkauft haben", fügt Rebecca hinzu. "Es gab auch ein Solidaritätskonzert", fasst Beatrice zusammen.
Jede Klasse kann selbst entscheiden, wie sie sich einbringen möchte. "In den vergangenen Jahren haben einige kleine Arbeiten in Eigenregie erledigt, Weihnachtsmärkte oder auch Gemeinschaftsarbeiten in den Gemeinden. Wenn sich jeder etwas vornimmt, kann man viel erreichen", betont Giovanni Benzoni. Und so kam einiges an Spendengelder zusammen.
Der Wunsch, Bäume zu pflanzen und die Umwelt zu schützen
Am Ende des Austauschs mit Anna und Marco werden die Schüler aufgefordert, einen Gedanken über den Vormittag zu hinterlassen (siehe Foto). Zwischen "Ich möchte Papaya probieren", "Er hat mir Lust gemacht, Bäume zu pflanzen und der Umwelt zu helfen", "Marco ist nett und freundlich. Und dann unterstützt er auch noch Juve" und "Wenn wir jetzt nicht handeln, riskieren wir Konsequenzen in der Zukunft", gibt es Raum für alle Facetten des Denkens, zwischen Leichtigkeit und Tiefe, die so typisch für dieses Alter sind. Sicherlich kann diese Auseinandersetzung mit der internationalen Solidarität im Laufe des Schuljahres, in dem weitere Austauschmomente mit Comundo organisiert werden, weiter ausgebaut werden. Und es ist sicher, dass im nächsten Juni jeder in der Lage sein wird, Nicaragua richtig zu buchstabieren :-)
Von Marco Ventriglia | 14. November 2023 | Nicaragua
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