Vom Gewaltopfer zur selbstbewussten Konditorin
Martha ist eine junge Frau, die ihre Jugend in einem Therapiezentrum in El Alto verbrachte. Sie entkam damit ihrer gewalttätigen Familie. Heute ist sie selbstständig. Sie verdient ihren Lebensunterhalt durch die Arbeit als Konditorin und Eventorganisatorin. Sie lebt in La Paz und lernt in ihrer wenigen Freizeit Englisch, weil sie davon träumt, einmal die Welt entdecken zu können.
Von Sabrina Maass
In ihrer Wohnung in der Nähe der Plaza Avaroa hat Martha Callisaya Pari ein kleines Konditorei-Geschäft gegründet. Dort entstehen ihre Kreationen: Kuchen, Cupcakes, Macarons, je nach Wunsch und Anlass. Die individuellen Einsatzmöglichkeiten sind nahezu unbegrenzt. Ebenso wie die Anlässe, für die ihre Dienstleistungen nachgefragt werden: Geburtstage, Hochzeiten, Verlobungen, Abschlussfeiern, Jubiläen... Martha bietet ein Komplettpaket an, inkl. Dekoration, Lieferung und Montage, falls gewünscht. «Ich tue das Beste für meine Kunden, ich bemühe mich, dass sie unvergessliche Erinnerungen an ihre besonderen Momente haben», erklärt sie auf Facebook und Instagram, den wichtigsten Kanälen, auf denen sie wirbt.
Nachdem die Pandemie sie gezwungen hatte, ihren ersten Laden zu schließen, machte sich Martha dank des Online-Geschäfts einen Namen. Und es funktioniert: «Heute geht es mir gut, ich teile die Haushaltskosten mit einer Freundin, die auch im selben Zentrum war wie ich und einen Sohn hat. Aber es war nicht einfach, alleine zurechtzukommen!»
Kuchen und Luftballons gab es für sie nicht
Martha kennt ihre Eltern nicht: «Ich kam in die erste Adoptivfamilie, als ich noch sehr jung war. Diese gab mich an eine andere Familie weiter, die mich wiederum an andere Menschen weitergab, und so weiter und so fort. Bis irgendwann eine Familie beschloss, mich zu behalten und mir ihren Namen zu geben. Aber sie liebten mich nicht, sie misshandelten mich, sie gaben mir nichts zu essen, sie ließen mich nicht zur Schule gehen.» Leider befinden sich viele Mädchen, Jungen und Jugendliche, die in der Grossstadt El Alto leben, in dieser Situation. Ein Leben, das von innerfamiliärer und sozialer Gewalt geprägt ist. Genau an diese sehr jungen Gewaltopfer richtet sich ENDA (Environmental and Development Action), eine seit 1988 aktive Nichtregierungsorganisation und ein Partner von Comundo. Heute bietet ENDA mit Sitz in El Alto psychologische Einzel- und Gruppentherapien, psychopädagogische Unterstützung und Freizeitaktivitäten für Familien an.
«Früher glaubte ich, dass mich jeder immer schlecht behandeln würde. Ich fühlte mich, als gehöre ich zu niemandem und nirgendwo hin.» Martha Callisaya
Dank psychologischer Betreuung zu neuem Selbstbewusstsein
In ENDA fand Martha einen fast familiären Empfang: «Ich habe viel auf der Beziehungsebene gelernt, ich fühlte mich verwöhnt. Die psychologische Unterstützung war von grundlegender Bedeutung. Früher glaubte ich, dass mich jeder immer schlecht behandeln würde. Ich fühlte mich, als gehöre ich niemandem und nirgendwo hin.» Aus diesem Grund steht Martha auch heute noch in Kontakt mit dem Zentrum und mit einigen Mädchen, die es besuchen oder dort waren, wie zum Beispiel ihre Mitbewohnerin. «Ich habe viele Mädchen gekannt, die so waren wie ich oder schlimmer als ich, und einige sind in Alkohol verfallen oder was auch immer. Es ist nicht einfach, die Welt ist hart. Ich möchte, dass jeder die Hilfe erhält, die ich hatte.»
Meinen Beitrag als Qualitätsmanagerin von Comundo
Meine Arbeit als Qualitätsmanagerin bei ENDA hat zum Ziel, genau diesen Wunsch von Martha Wirklichkeit werden zu lassen: Ich versuche, Prozesse zu optimieren, um Ressourcen besser zu nutzen und die enormen Fähigkeiten, die das Team besitzt, zu fördern. Dank dieser Werkzeuge, der Systematisierung und der Digitalisierung wollen wir immer mehr Opfer von Gewalt besser und nachhaltiger unterstützen.
Heute hat Martha keine Angst mehr: «Als ich das ENDA-Zentrum verließ, war ich unerfahren und traf die falschen Leute, die mich verblendeten und ausbeuteten. Ich befand mich mitten auf der Straße, mittellos. Aber tief in mir, trotz der Enttäuschungen, Misserfolge und Schwächen, wusste ich, dass ich es schaffen würde. Ich stand auf und fing wieder an zu verkaufen.» Martha hat verstanden, dass sie sich überall ihren Platz in der Welt schaffen kann. So sehr, dass sie davon träumte, eines Tages zu reisen: «Ich weiß, dass es NGOs gibt, die Auslandaufenthalte von jungen Menschen unterstützen. Bei denen werde ich nachfragen. Und dann kann ich überall arbeiten: Ich nehme mein Werkzeug mit, mit meinem Mixer in der Hand, ich weiß, dass ich immer zurechtkomme. Ich glaube, ich habe es auch verdient, etwas Schönes zu machen!».
«Dank der Digitalisierung können wir immer mehr Opfer von Gewalt besser und nachhaltiger unterstützen.» Sabrina Maass
Von Sabrina Maass | 22. Juli 2024 | Bolivien
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