Viel Dreck, Krankheit und wenig Verantwortung
Für den Staat ist die karge Hochebene rund 5 Stunden von Cusco mit ihren enormen Kupfervorkommen eine lukrative Geldmaschine. Doch für rund 60'000 Einwohner/-innen in einer der ärmsten Provinzen Perus ist es der einzige Lebensraum; wie dieser Schritt für Schritt dem Profit mulitnationaler Konzerne geopfert wird, darüber berichte ich als Journalist und Comundo-Fachperson vor Ort.
«Schau dir mein Söhnchen an, er ist 21 Jahre alt. Schau, es könnte ihm gut gehen, aber er ist wie ein Kind, kann nichts machen. Ich muss ihn waschen, für ihn kochen, das Essen geben, seine Kleider waschen, seine Sachen aufräumen. Er ist ständig bei mir, lässt mich nicht alleine. Traurig ist mein Sohn.» Wenn Cristina Choque über ihren einzigen Sohn Fran spricht, ist sie den Tränen nahe. Fran, der seiner Mutter wie ein Schatten folgt und mit scheuen Augen unter seinem weissen Filzhut hervorschaut.
Die 64-jährige Cristina wohnt mit Fran auf einem Hof in der Gemeinde Ccocareta, fünf Stunden Autofahrt südlich von Cusco in der Provinz Espinar, auf einer weiten Hochebene mit sanften Hügeln auf 4000 Metern über Meer. Es ist eine der ärmsten Provinzen in Peru – obwohl hier schon seit 40 Jahren Kupfer abgebaut wird. Die meisten der gut 60'000 Einwohner/-innen sind stolze K’ana, eine Quechua-sprachige indigene Bevölkerungsgruppe, die einst eine eigene Zivilisation bildete, bevor sie ins Inka-Imperium integriert wurde.
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Die wichtigste Lebensader vergiftet
Wir gehen zum Bach, der an ihrem Hof vorbeifliesst. Das Rinnsal habe früher viel mehr Wasser geführt, erzählt Cristina. Vor allem sei er sauber gewesen, es habe Fische und Frösche darin gehabt. Als sie mit Fran schwanger war, habe sie noch daraus getrunken. «Ich habe nicht gewusst, dass das Wasser verschmutzt war.» Heute glaube sie, dass Fran deswegen behindert sei. In ihrem Blut wurden stark erhöhte Schwermetallwerte nachgewiesen.
Wenige Kilometer flussaufwärts liegt der alte Tagebau der Mine Tintaya, der in ein riesiges Rückhaltebecken umfunktioniert wurde. Die einst staatliche Mine, die in den 1980ern zu produzieren begann, wurde 2006 von Xstrata gekauft und gehört seit 2014 dem Schweizer Rohstoffmulti Glencore. Unterdessen wird das Kupfer einige Kilometer weiter im Norden abgebaut, in einem neuen Tagebau namens Antapaccay.
Viele Kinder mit Beeinträchtigungen
«Ich mache mir Sorgen, wer wird sich um meinen Sohn kümmern, wenn ich sterbe? Ich bin krank, ich weiss nicht, wo ich ihn hinbringen soll. Ich kann nichts für ihn tun. Dieses Kind braucht Früchte, gesundes Essen, Medikamente. Aber wir haben immer weniger Vieh, ich weiss nicht, wo ich das Geld herholen soll.»
Fran ist intellektuell stark eingeschränkt, kann kaum sprechen, geschweige denn lesen und schreiben. Auch habe er zu kleine Nieren, habe ihr ein Doktor gesagt. Eine genaue Diagnose habe sie nicht bekommen. Cristina betreut ihn alleine, finanzielle Unterstützung bekommt sie keine. In ganz Espinar gibt es keine Institution, die beeinträchtigte Menschen wie Fran aufnehmen könnte.
Die meisten der einfachen Lehmhäuser rund um Cristina’s Hof sind verlassen und halb verfallen. In Ccocareta seien viele Kinder mit Behinderungen geboren worden, erzählt Cristina weiter. Unterdessen seien sie mit ihren Familien weggezogen. Nur die Alten sind zurückgeblieben, doch auch sie werden immer weniger. Viele seien an Krebs gestorben. «Gerade hat sich meine Nachbarin beklagt, es gehe ihr schlecht. Ich weiss nicht, wie lange wir hier noch ausharren können. Aber einen anderen Ort, wo wir hinkönnten, haben wir nicht.»
Verschmutzungen durch Unternehmen schwer nachweisbar
Die Verschmutzung mit Arsen und Schwermetallen in Espinar ist seit Jahren bekannt und gut dokumentiert, zuletzt durch eine Studie von Amnesty International. Viele Bewohner/-innen haben wie Cristina und Francisco ihre persönlichen Blutanalysewerte erhalten und wissen nun, dass sie Arsen, Blei, Quecksilber und Kadmium im Blut haben, und dass ihre Wasserquellen verschmutzt sind – aber sie können nichts dagegen unternehmen. Die Minenfirma bestreitet, dass die Verschmutzung durch den Kupferabbau verursacht wurde. Stattdessen sei die «natürliche Mineralisierung des Bodens» dafür verantwortlich. Tatsächlich gibt es bis heute keine Studie, welche den Zusammenhang eindeutig beweisen könnte.
Aufgeben ist keine Option – trotz neuer Minen
Der Tagebau der Mine Antapaccay wird bald ausgeschöpft sein. Eine weitere Expansion ist deshalb in einigen Kilometern Entfernung geplant, in einem Gebiet namens Coroccohuayco. Dort laufen aktuell Verhandlungen zwischen Glencore und den zwei Gemeinden Pacopata und Huini über den Landkauf. Die Dörfer würden praktisch komplett verschwinden, trotzdem will die Firma keine kollektive Umsiedlung durchführen. Doch die Auswirkungen gehen weit darüber hinaus. Die Mine liegt im Quellgebiet der beiden Flüsse, welche durch die Provinzhauptstadt Yauri und rund 20 weitere Gemeinden fliessen.
Die Beharrlichkeit, mit der sich Menschen wie Cristina und Francisco unter schwierigsten Umständen für kleine Verbesserungen ihrer Lebensumstände einsetzen, beeindruckt mich immer wieder. Aufgeben ist für sie keine Option, denn es geht ihnen nicht nur um ihr eigenes Leben, sondern besonders um ihre Liebsten, ihre Familie, die Gemeinde und das Land, auf dem sie geboren wurden. Sie möchten ein selbstbestimmtes Leben in einer einigermassen intakten Umwelt führen können, um sich mit ihren Tieren und Äckern selbst versorgen zu können, sowie etwas Einkommen, um das Nötigste abzudecken. In einer Region, die mit ihren Bodenschätzen unermessliche Reichtümer schafft, müsste es der Gerechtigkeit halber auch gute Schulen und Spitäler geben.
Als Comundo-Fachperson konkret helfen
Die Grundlage für Verbesserungen ist zuerst einmal, die Fakten zu kennen. Ein grosser Teil meiner Arbeit bei der Comundo-Partnerorganisation CooperAcción ist Recherche und Dokumentation. Wie steht es um die Entwicklungen im Bergbausektor, welche Projekte sind geplant, welche ökologischen und sozialen Auswirkungen sind zu erwarten? Auf dieser Basis beraten wir anschliessend die Gemeinden und betroffene Personen. Andererseits betreiben wir Aufklärung, um Entscheidungsträger/-innen und die Öffentlichkeit zu sensibilisieren. Dies ist notwendig, da Bergbau meist in «weit entfernten» Regionen geschieht, wo die Bevölkerung historisch diskriminiert wird. Der Rassismus gegenüber der indigenen Bevölkerung ist ein Grundproblem, denn wer von den Behörden nicht als vollwertige Person wahrgenommen wird, kann auch seine Rechte kaum durchsetzen.
Die Verschmutzung mit Schwermetallen betrifft viele Regionen in Peru. Das Gesundheitsministerium schätzt, dass rund 10 Millionen Menschen oder knapp ein Drittel der Bevölkerung davon betroffen sind. Das Bewusstsein für das Problem nimmt langsam zu. Eine nationale Koalition von Betroffenen hat sich zusammengetan, die sich bei den Behörden für konkrete Verbesserungen einsetzt. Es gibt einen Massnahmenplan und seit kurzem auch ein Budget für Studien und spezialisierte Behandlungen in den regionalen Gesundheitszentren. Doch die Umsetzung steht noch ganz am Anfang. Es wird weiterhin viel Beharrlichkeit und Sensibilisierungsarbeit brauchen.
Von Thomas Niederberger | 1. Februar 2023 | Peru
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