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18.08.2023

Soziale Veränderung ist ein Riesenthema

Mit dem Ziel, als Medienfachfrau einen Beitrag zu einer gerechteren Gesellschaft zu leisten, reiste die Video-Journalistin Julia Maria Schmidt mit Comundo nach Kolumbien – fünfeinhalb Jahre später ist sie nun in die Heimat zurückgekehrt. Im Interview spricht sie über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse im Einsatz.

Nach fünfeinhalb Einsatzjahren mit Comundo in Kolumbien bist Du im Juli nach Deutschland zurückgekehrt. Wie geht es Dir dabei?

Julia Schmidt: Mental stecke ich noch zwischen den Welten, den Lebensrealitäten – hier im relativ sicheren Europa und dort, im vielerorts von Armut, Gewalt und Ungleichheit geprägten Kolumbien. Vielleicht macht es einen bescheidener, wenn man andere Bedingungen kennengelernt hat. Und man ärgert sich weniger über Kleinigkeiten. Ich bin dankbar für diese Lebenserfahrung, mich in verschiedenen Kulturen zu Hause zu fühlen, persönlich und beruflich. Als Nicht-Kolumbianerin bei einer Organisation mitwirken zu können und als akzeptiertes Teammitglied aufgenommen zu werden, war sehr bereichernd für mich.

Was waren rückblickend die Highlights im Einsatz?

Da gibt es viele. Zum Beispiel das Projekt «El Hatillo – Memorias de las tierras», das auf der Virtual-Reality oder 360°-Technologie basiert. Es wurde in Zusammenarbeit mit der Dorfgemeinschaft von El Hatillo durchgeführt, die aufgrund des Steinkohlebergbaus von einer Zwangsumsiedlung betroffen ist. Das Projekt soll den Bewohnerinnen und Bewohnern helfen, die Erinnerung an ihr Dorf lebendig zu halten, damit sie ihren Enkeln ihre Wurzeln zeigen können.

«Aber es geht auch darum, in Kolumbien und Europa über die Folgen des Bergbaus aufzuklären.» 

Und was war im Einsatz eher schwierig für Dich?

Die meisten Menschen in Kolumbien sind in irgendeiner Weise direkt oder indierekt vom bewaffenten Konflikt betroffen. Es kam immer mal wieder vor, dass Personen, mit denen ich beruflich oder privat zu tun hatte, unverhofft von einer Gewalterfahrung berichtet haben. Manchmal waren sie selbst betroffen, manchmal andere Personen im Familien- oder Freundskreis. Es ist nicht leicht, mit so etwas konfrontiert zu werden und hat sich auch teilweise schwierig angefühlt, auf solche Erfahrungen angemessen zu reagieren. 

Ausserdem hatte Kolumbien während der Corona-Pandemie mehrere Monate strenge Regeln, zum Beispiel strikte Ausgangskontrollen. Man wusste lange nicht, wie sich die Situation entwickeln würde. 

Was konntest Du bei Chasquis einbringen, was die Organisation weitergebracht hat und nachhaltig weiterwirkt?

Ich konnte mich auch auf Organisationsebene einbringen und gewisse Strukturen stärken. So habe ich daran mitgewirkt, dass regelmässig Teamsitzungen und Retraiten gemacht und interne Workflows definiert werden. Auch war ich an der Konzeption und Entwicklung der neuen Kommunikationsschule «Escuela Comunicación» beteiligt, einem Aus- und Fortbildungsangebot für Medienschaffende in NGOs. 

Wurden diese Änderungen vom Leitungsteam problemlos angenommen und umgesetzt?

Es war ein langsamer Prozess. Ich bin drangeblieben und habe die Vorschläge immer wieder eingebracht – ohne Druck oder Überheblichkeit. Die Philosophie von Comundo, nicht alles sofort ändern zu wollen, sondern in den ersten Monaten zunächst einmal die Organisation kennenzulernen, ist wichtig. Ausserdem sollte einem bewusst sein, dass sich nicht alles ändern muss. Mit unserem Blick von aussen, können wir Vorschläge machen oder Angebote, aber ob dies was bringt, entscheidet die Organisation. 

«Die Philosophie von Comundo, nicht alles sofort ändern zu wollen, ist richtig und hilfreich.»

Was genau war das Ziel Deines Einsatzes bei Chasquis? Hast Du es erreicht?

Das übergeordnete Einsatzziel war, Chasquis in ihrer Medienarbeit zu stärken. Dadurch sollen viele Menschen erreicht und damit einen sozialen Wandel hergestellt werden. Das ist ein langer, nicht endender Prozess. Soziale Veränderung ist ein Riesenthema. Ich denke, in den vergangenen Jahren hat sich die NGO Chasquis intern besser aufgestellt und strukturiert. Es gibt mehr Diskussionen und Austausch, ausserdem Jahres- und Halbjahresplanungen. Das ist nicht mein Verdienst, aber ich habe immer mal wieder den Anstoss dazu gegeben. Anfänglich waren wir zu Dritt im Team, heute sind es sieben Leute.  

Gewalt, Umweltzerstörung, Landenteignung, Ungleichheit – das sind happige Themen. Was hat das mit Dir in all den Jahren gemacht?

Der direkte Kontakt, die persönlichen Berichte der Menschen, mit denen wir zusammengearbeitet haben, haben mich bestärkt in der Überzeugung, dass es Sinn macht, einen Einsatz zu machen und diese Themen hinauszutragen und auch international darüber zu sprechen. 

Bei den Comundo-Einsätzen ist der Wissensaustausch zentral. Was konntest Du – neben der persönlichen Bereicherung – fachlich mit nach Hause nehmen?

Da gab es Vieles. Nehmen wir die 360-Grad-Produktion: Anfänglich war ich von dieser neuen technischen Möglichkeit nicht so begeistert. Ich habe gedacht, der Effekt nutze sich schnell ab. Jedoch erkannte ich bald das grosse Potenzial dieser Technologie für die Erinnerungsarbeit oder für pädagogische Projekte. Hier habe ich viel gelernt. Dafür bin ich Chasquis dankbar. Gemeinsam zu lernen, gemeinsam etwas zu entwickeln – dieser PEZA-Ansatz trifft hier genau zu.

Nun bist Du wieder zurück in Deutschland und – wie wir bei Comundo sagen, eine Alumni. Wie geht es weiter in Deinem Leben, beruflich und privat?

Momentan lebe ich bei meiner Mutter in Darmstadt. Beruflich möchte ich in der Medienbranche weiterarbeiten, zum Beispiel als Journalistin oder Redakteurin bei einer Produktionsfirma oder bei einem TV-Sender. Es würde mich reizen, längere Dokumentarfilme zu realisieren. Wenn sich das mit Themen der Entwicklungszusammenarbeit kombinieren liesse und ich so auf soziale Missstände und Ungerechtigkeiten aufmerksam machen könnte, wäre das besonders interessant. Gerne würde ich auch weiterhin in der Medienbildung arbeiten und Workshops und Trainings anbieten.  

Ist nach Deiner Rückkehr Deine Erfahrung als Einsatzleistende abgeschlossen? Wirst Du in Kontakt bleiben mit Chasquis?

Ich werde mich sicher weiterhin für Menschenrechtsthemen engagieren, auch ein ehrenamtliches Engagement ist für mich denkbar. Mit Chasquis bleibe ich verbunden. Geplant ist voraussichtlich im nächsten Jahr eine Wanderausstellung mit unserer virtuellen Produktion über El-Hatillo hier in Europa, die ich von hier aus unterstützen werde

«Geplant ist voraussichtlich im nächsten Jahr eine Wanderausstellung mit unserer virtuellen Produktion über El-Haltillo hier in Europa, die ich von hier aus unterstützen werde.»

Von Julia Maria Schmidt | 18. August 2023

 

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Julia Maria Schmidt

Video-Journalistin

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Julia Schmidt reiste Anfang 2018 als Fachperson mit Comundo nach Bogotá in Kolumbien aus. Bei der Partnerorganisation Fundación Chasquis gab sie in ihrer Medienarbeit Benachteiligten eine Stimme und thematisierte Verstösse gegen Menschenrechte und Umwelt. Per Ende Juli 2023 beendete sie ihren Einsatz.

Fundación Chasquis

Die Fundación Chasquis engagiert sich in der Friedensarbeit, für eine gerechtere Gesellschaft. Sie tut dies mit Medienkampagnen sowie Video- und Foto-Beiträgen in Sozialen Medien zu Themen wie Menschenrechte, Umwelt und Friedenskonstruktion. Damit will sie, national und international auf Missstände aufmerksam machen. Neben Eigenproduktionen begleitet und berät sie andere Nichtregierungsorganisationen bei Kampagnen und in ihren Kommunikationsprozessen und bietet Trainings, Workshops und Fortbildungen an. 

Gestärkte Kommunikation für den Frieden

Comundo unterstützt die Fundacion Chasquis weiterhin finanziell bei der Umsetzung ihrer Kommunikationsschule «Esculea Comunicacion», welche Julia massgeblich mitaufgebaut hat. 

 

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