Mit Hiphop gegen Gewalt
Tumaco, eine vergessene Region in Kolumbien, die Jugend ohne Horizont angesichts Guerilla und Drogenhandel – hier begleitete die Theologin und Hispanistin Uli Purrer im Centro Afro Juvenil junge Menschen, die in einem von Armut und Gewalt geprägten Umfeld aufwachsen. Dabei hat sie viel Erschreckendes, aber auch viel Schönes erfahren. Nachfolgend blickt sie auf ihren langjährigen Entwicklungseinsatz zurück.
Comundo: Uli Purrer, nach zehn Einsatzjahren mit Comundo im Centro Afro ist nun Schluss – da geht ein Lebensabschnitt zu Ende, wie geht es Dir dabei?
Uli Purrer: Tatsächlich endet da ein Lebensabschnitt. Aber der Rückblick macht mich auch stolz – es ist toll, was entstanden ist, eine reiche Ernte. Nun ist die Zeit reif, um an den Abschied zu denken. Allerdings verlasse ich Tumaco nicht von heute auf morgen. Ich bleibe noch für zwei weitere Jahre ohne Anstellung bei Comundo vor Ort, damit ich meine Aufgaben im Centro Afro schrittweise übergeben kann sowie um bestimmte institutionelle Beziehungen zu festigen.
«Die PEZA macht es möglich, auf Augenhöhe mit den Menschen zusammen Träume zu entwickeln und miteinander Lösungen zu finden.»
Gehen wir an die Anfänge Deiner Einsatzzeit zurück - was war Deine Motivation, einen Einsatz in der Personellen Entwicklungszusammenarbeit, sprich PEZA, zu leisten?
Es war mein Wunsch, mich über einen längeren Zeitraum auf eine Region, einen Ort, eine Gruppe von Menschen einzulassen und gemeinsam mit ihnen einen Weg zu gehen. Die PEZA macht es möglich, auf Augenhöhe mit den Menschen zusammen Träume zu entwickeln und miteinander Lösungen zu finden.
In Tumaco lebst Du in einem bescheidenen kleinen Holzhäuschen, anfänglich ohne Wasser und ohne Strom, nahe dem Centro Afro. Das tönt nach einer mehr als bescheidenen Wohnform.
Ich fand das kleine bescheidene Häuschen von Anfang an als genau das Richtige für mich und ich lebe heute noch da. Es war die Erwartung meiner Partnerorganisation, vor Ort im Stadtviertel zu sein und es war auch mein eigener Wunsch. Hier verzichtet man auf viele Bequemlichkeiten, aber es gibt mir auch die Möglichkeit der Nachbarschaft wirklich auf Augenhöhe zu begegnen.
Tumaco ist eine von Gewalt und Armut geprägte Stadt in einer vom Staat vergessenen Region an der Südostküste Kolumbiens. Was ging Uli Purrer durch den Kopf, als sie das erste Mal einen Fuss in diese Stadt setzte?
«Die Begegnung unterschiedlicher Kulturen und Menschen ist immer eine Bereicherung, weil man andere Vorgehensweisen entdeckt.»
Was war das Ziel Deines Einsatzes im Centro Afro Juvenil?
Im Stellenbeschrieb war als Zielsetzung formuliert: Die Jugendlichen in einer offenen Jugendarbeit die Jugendlichen von der Strasse weg zu holen und mit ihnen gemeinsam kreative Räume zu schaffen, wo sie ihre Freizeit verbringen können. Die Vorgabe war, miteinander Alternativen zu entwickeln zu den bewaffneten Konflikten, zum Drogenhandel, zur Prostitution usw.
Nun, Hand aufs Herz, aber hätte man für diese soziale Arbeit nicht auch jemanden aus Kolumbien anstellen können?
Die Partnerorganisation, die Diozöse Tumaco, legte Wert darauf, dass jemand aus dem Ausland kommt und diese soziale Arbeit macht. Dies, weil in diesem komplexen Kontext des bewaffneten Konflikts die Anwesenheit einer Ausländerin, die sich in ihrer hellen Hautfarbe sichtbar unterscheidet, eine Art Schutzfunktion bietet. Meine Kolleginnen vor Ort mit dunkler Hautfarbe sind angreifbarer und verletzbarer. Eine bewaffnete Gruppe legt sich nicht so leicht mit einer Organisation an, die mit einer Ausländerin arbeitet. Da ist der politische Preis hoch.
«Es war eine Entdeckung für mich, welch grosses transformierendes Potenzial Kunst haben kann!»
Was hiess es für Dich, als Ausländerin in diesem gewaltgeprägten Umfeld tätig zu sein? Was waren die Schwierigkeiten und auch die Gewinne dabei?
Die Begegnung unterschiedlicher Kulturen und Menschen ist immer eine Bereicherung, weil man andere Vorgehensweisen entdeckt. Mit meinem Blick von aussen konnte ich neue Impulse setzen. Selber durfte ich im Frieden aufwachsen, ich weiss, er existiert wirklich. Das ist für die Jugendlichen in Tumaco anders, sie sind im Krieg gross geworden. Ich bin in der DDR geboren, ich habe den Berliner Mauerfall 1989 erlebt. Und dieser hat mich biographisch geprägt. Ich habe erlebt, wie Tausende von Menschen auf die Strassen gingen und ein Regime zum Sturz brachten, ohne dass eine Kugel abgefeuert wurde. Und ich glaube, dieses Lebenszeugnis konnte ich in Tumaco vermitteln, wo viele Leute mit der Überzeugung gross geworden sind, es geht nur mit Gewalt.
Anfänglich hatte Uli Purrer grosse Herausforderungen zu bewältigen in der Arbeit mit den Jugendlichen. Welches waren die Grössten ?
Du hast unzählige Projekte und Aktivitäten mit den Kindern und Jugendlichen aufgegleist. Was waren Deine wichtigsten Projekte, die Highlights?
Anfangs habe ich nicht damit gerechnet, dass wir im Centro Afro so viel Kultur machen würden. Das ist nicht so meine persönliche Stärke. Auf einmal entstanden die Tanz-, die Zirkus- und die HipHop-Gruppe, sie alle transportieren in ihren Produktionen soziale, gesellschaftliche Botschaften. Es war eine Entdeckung für mich, welch grosses transformierendes Potenzial Kunst haben kann! Und wir nutzen dieses als pädagogisches Mittel, um Jugendliche einzuladen, bei uns mitzumachen. Gerade die HipHop-Musik kommt bei den Jugendlichen gut an. Wenn wir mit ihnen eigene Songs schreiben, geht es darum, eine Gesellschaftsanalyse vorwegzunehmen und zu überlegen, worüber wir singen: was fordern wir, mit welcher Botschaft gehen wir an die Öffentlichkeit.
Träume können wahr werden! Dies zeigten Ende 2021 die Rapper von AfroMiTu, die es mit ihrem Lied «Respeto a la vida» / «Respekt vor dem Leben» an einem internationalen Songcontest mit 600 Bewerbungen unter die Top 20 schafften. Die Gruppe entstand aus einem, von Uli Purrer begleiteten Projekt. In der Folge wurden sie nach Berlin in ein Tonstudio eingeladen. Der Mut dieser Jugendlichen ist bemerkenswert, denn mit sozialkritischen Texten öffentlich aufzutreten, ist nicht ungefährlich, wie Uli Purrer erklärt.
In den 10 Einsatzjahren hast Du viele Kinder und Jugendliche heranwachsen sehen und begleiten können. Welche Beziehung zu ihnen hat sich daraus ergeben?
Bei manchen Kindern habe ich einen tiefen Einblick in die Familien bekommen und habe ganz schlimme Situationen miterlebt von Missbrauch, Gewalt, Verlust, Angst. Ich kenne etliche Familien, die vertrieben wurden, ihr Leben neu aufbauen mussten und dann erneut vertrieben wurden. Und es gibt Mütter, die seit Jahrzehnten ihre Kinder suchen, die im bewaffneten Konflikt verschwunden sind und die sie gerne beerdigen möchten. Wenigstens das. Ihre Geschichten zu kennen, ihre Tränen gesehen zu haben, mit ihnen zusammen an einem Grab gestanden zu haben, verbindet mich mit diesen Menschen. Selbst wenn ich einmal von Tumaco weggehe, wird mich diese Erinnerung niemals loslassen. Es verpflichtet mich auch, immer weiter von Kolumbien zu erzählen und dafür zu sorgen, dass die Welt Tumaco nicht vergisst.
Für Uli Purrer gab es Momente, wo sie verzweifelt war und meinte, es bringe alles gar nichts. Doch wie fühlt man sich, wenn zum x-ten Mal ein junger Mensch ermordet oder ein Mädchen vergewaltigt wird und man sich so machtlos vorkommt?
Was waren die schönsten Momente für dich?
Besonders glücklich bin ich, wenn ich sehe, wie Jugendliche, die aus schwierigen Verhältnissen kommen, einen Uniabschluss schaffen und als Psychologin oder Agronom nach Tumaco zurückkehren. Da bin ich unglaublich stolz, weil ich weiss, dass ich ein Anteil habe an diesem zukunftsträchtigen Weg, den sie selber gegangen sind. Und es erfüllt mich mit Freude, wenn Jugendliche, die vor zehn Jahren als Teenager zu uns kamen, jetzt ihrerseits Jungendleiter sind und die Jüngeren anleiten. Das gibt mir das Gefühl, dass eine Saat aufgeht und eine neuere Generation Verantwortung übernimmt – nicht nur im Centro Afro, sondern auch weit darüber hinaus, auf kommunaler Ebene.
«Es erfüllt mich mit Freude, wenn Jugendliche, die vor 10 Jahren als Teenager zu uns kamen, jetzt ihrerseits Jungendleiter sind und die Jüngeren anleiten.»
Wie geht es weiter mit dem Centro Afro, wenn Du nicht mehr da bist?
In den letzten Jahren ist ein Koordinationsteam entstanden mit jungen Frauen aus Tumaco, denen ich zutraue, dieses Jugendzentrum weiterzuführen. Ich bin sehr froh, dass ich noch eine Zeit im Centro Afro bleiben kann. Aber ich merke auch, dass es dann gut ist, zu gehen. Auch dass die Strukturen nicht abhängig von mir werden, denn das ist ja genau nicht Sinn und Zweck der PEZA.
Und Dein persönlicher Weg – hast Du Pläne für die Zukunft?
Ich kann mir durchaus vorstellen, mittelfristig wieder nach Deutschland zu gehen. Ich weiss nicht, ob für immer – das wird sich dann herausstellen. Auch in Deutschland gibt es gesellschaftliche Ränder und Menschen, die vergessen und abgehängt werden. Ich bin überzeugt, dass ich auch in Deutschland etwas beitragen kann.
Von Ulrike Purrer Guardado | 7. Juni 2022
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