Leon will nicht Soldat werden
Das Schicksal der Familie Jimenez macht eines deutlich: Auch fünf Jahre nach offiziellem Ende des bewaffneten Konflikts zwischen der Guerrilla FARC-EP und Regierung in Kolumbien herrscht Gewalt und Vertreibung. Ein verwobenes Netz aus staatlichen Akteuren, paramilitärischen Gruppen und der Guerilla sorgt weiterhin für grosses Unrecht und verhindert den lang ersehnten Frieden. Darunter leidet vor allem die jüngste Generation. Durch unseren Einsatz vor dem Friedensgericht sorgen wir für Anerkennung, Schutz und Wiedergutmachung. Damit Kinder wie Leon und Elodie eine Zukunft in Frieden erhalten.
Vor einem Jahr, im Frühling 2021, übernachtete die 6-jährige Elodie Jimenez* bei ihrer Grossmutter Juana* in einem ländlichen Dorf im Süden Kolumbiens. Um 04.00 Uhr in der Früh dringen Polizisten gewaltsam in die Wohnung ein. Sie durchsuchen alles, befragen die Grossmutter und reissen Elodie aus dem Schlaf. Die Angst sitzt dem kleinen Mädchen nach diesem Vorfall tief in den Knochen. Im kurzen Gespräch mit einer Arbeitskollegin von mir schildert Elodie uns, was genau geschehen ist.
Wir wissen bis heute nicht, weshalb die Polizei willkürlich das Haus von Grossmutter Juana durchsucht hat. Warum dabei ein sechsjähriges Mädchen mit einer Schusswaffe bedroht wurde. Auffallend ist: die unrechtmässig eingedrungene Polizei suchte nach Informationen zu Emiliano*. Emiliano ist der Onkel von Elodie; dieser wird daraufhin im letzten Sommer tot aufgefunden, ermordet durch die Guerilla. Zuvor wurde er durch die Guerilla zwangsrekrutiert, konnte jedoch entkommen.
«Als Juristin kämpfe ich für den Schutz von Kindern wie Leon und Elodie vor dem Friedensgericht. Nur so erhalten sie die Chance auf ein Leben ohne Angst und in Frieden. Bitte helfen Sie mir dabei.»
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Die Mutter musste fliehen
Im Fokus steht aber auch Frida*, die Mutter der beiden Kinder Elodie* und Leon* und Schwägerin des verstorbenen Emiliano. Sie spielte eine wichtige Rolle bei der Gründung einer Kleinbauernvereinigung in ihrem Heimatort. Frida engagiert sich seither aktiv dafür, dass Bauernfamilien Zugang zu Ländereien erhalten, um ihre Lebensgrundlage sichern zu können – ein Engagement, das einigen Grossgrundbesitzern offensichtlich missfällt. Die Landfrage ist eine der Hauptursachen für den Konflikt in Kolumbien.
Zum Zeitpunkt des Interviews lebt Frida getrennt von ihrem Kind Leon, welches sie bei Familienmitgliedern im Dorf zurückzulassen musste. Die Hausdurchsuchung und zunehmenden Drohungen zwangen sie dazu, der Sicherheit und dem psychischen Wohlergehen ihrer Tochter zu liebe. Der heute elfjährige Leon vermisst seine Mutter sehr. Im Audiointerview kommt seine innere Zerrissenheit zum Ausdruck; soll er in seinem Dorf bei seiner Schule, seinen Freunden und anderen Familienmitgliedern bleiben? Oder zu seiner Mutter ziehen, die er sehr vermisst und um die er sich ständig sorgt?
Diese Schicksale zeigen eines deutlich: Trotz Friedensabkommen finden in Kolumbien auch heute noch massive Menschenrechtsverletzungen statt. Deshalb versuche ich als Juristin solche Fälle zu dokumentieren und vor das Friedensgericht zu bringen. Frida und Juana wurden bereits als Opfer anerkannt. In unserem Bericht beantragen wir nun ebenso die Anerkennung von Elodie, Leon sowie vielen anderen Kindern und Jugendlichen der Region. Wir fordern damit das kollektive Recht auf Wiedergutmachung, spezifisch für diese Altersgruppe.
Denn innerhalb der Übergangsjustiz geht es primär darum, die Wahrheit und Anerkennung der Gräueltaten und Kriegsgeschehnisse zu etablieren. Das Gericht soll Gerechtigkeit, Wiedergutmachung und insbesondere Nicht-Wiederholung garantieren. Unbestritten, dies sind schwierige und komplexe Ziele, doch für einen nachhaltigen Frieden unabdingbar.
«Die Kinder des Kriegs sind die Eltern des Friedens»
Leons Träume
Hinter der traurigen Fasade verbirgt sich ein Junge, mit Träumen und Freude am Leben. Leon möchte Tierarzt werden, Tieren helfen und ihnen Zuflucht bieten. Doch der Weg dahin ist nicht einfach. Denn viele Teenager aus dem Dorf von Elodie und Leon müssen bereits mit 14 Jahren auf Koka-Plantagen arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen. Die aktuelle Situation bietet diesen Kindern nur wenig positive Zukunftsperspektiven. Dadurch werden sie anfälliger für illegale oder semi-illegale Rekrutierungen durch die Guerilla, das Militär oder paramilitärische Gruppierungen; ebenso für Arbeitsausbeutungen.
Deshalb setzen wir uns so stark für diese Kinder ein. Ihre Geschichten müssen vor dem Gericht angehört, ihr Unrecht anerkannt werden. Nur so erhalten sie den nötigen Schutz. Und nur so können wir den Teufelskreis, in dem sich diese Familien befinden, endlich durchbrechen. Kinder wie Elodie und Leon haben ein normales Leben verdient. Ein Leben, ohne Gewalt in einer Gesellschaft, in der Leon Tierarzt werden kann anstelle eines Soldats.
*Aus Sicherheitsgründen wurden die Namen der in diesem Beitrag portraitierten Personen geändert.
Von Laura Kleiner | 7. März 2022 | Kolumbien
1 Kommentare
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Beeindruckende Arbeit von Laura!