Die Angst gemeinsam überwinden
Die Realität in Aguablanca, einem Stadtviertel von Cali in Kolumbien, ist hart. Während der Corona-Pandemie haben sich Probleme wie Armut, Hunger und Gewalt noch verstärkt. Dank künstlerischer Betätigung und Bewegungskursen können Kinder, Jugendliche und Frauen Kraft tanken und Ängste überwinden. Von Comundo-Fachperson Alicia Tellez.
María Ligia Castillo (51) wuchs in Barbacoas, Nariño, einer ländlichen Region im Südwesten Kolumbiens, bei ihren Grosseltern auf. Schon als Fünfjährige musste sie zuhause anpacken und auf dem Bauernhof mithelfen. Im Alter von elf Jahren kam Doña Ligia zu ihrer Mutter nach Aguablanca, wo sie sich um ihre jüngeren Schwestern kümmern musste. Eine Schulbildung war für sie nicht vorgesehen, sie sollte nur arbeiten. Zum Glück konnte sie das Kultur- und Begegnungszentrum El Chontaduro der Comundo-Partnerorganisation FORLCULVIDA besuchen. Dort erfuhr sie Gemeinschaft und begann, eine andere Vorstellung ihrer Zukunft zu entwickeln.
Da sie weder lesen noch schreiben konnte, begann sie, Abendkurse zu besuchen, als sie mit ihrer ersten Tochter schwanger war. Ihr Ehemann hatte sehr patriarchale Vorstellungen. Trotzdem schaffte sie es, für die Schule zu lernen: Mit 30 Jahren schloss sie das Gymnasium ab. Damals war sie mit ihrem dritten Sohn schwanger. Sie hat immer für ihre Rechte und ein eigenständiges Leben gekämpft.
Kultur des Friedens fördern
Das Stadtviertel Aguablanca war schon immer ein armer Ort, aber früher war es zumindest friedlich. Dann wanderten immer mehr Leute zu, und mit ihnen kamen auch die bewaffneten Gruppen: die Guerilla, Paramilitärs, Drogenhändler. Heute ist Aguablanca eine der gefährlichsten Gegenden der Welt. Hier kommt unsere Unterstützungsarbeit ins Spiel: Unser Ziel ist es, in diesem von Gewalt geprägten Umfeld eine Kultur des Friedens zu fördern. Wir arbeiten mit Jugendlichen und über 50-Jährigen an ihrem Körperbewusstsein, an der für die Erarbeitung einer Zirkusvorstellung nötigen Disziplin sowie an ihrer Fähigkeit zur Selbsthilfe. Damit wollen wir bei den Teilnehmenden auch ein Bewusstsein für Menschenrechte schaffen und das Gemeinschaftsgefühl stärken. Trotz sozialer Benachteiligung sollen die Menschen selbst Akteure ihres Schicksals werden und Werkzeuge erhalten, um den Herausforderungen des Lebens selbstbestimmt zu begegnen. Bei uns finden sie einen geschützten Raum, eine Gemeinschaft, in der sie gefördert werden und Kraft tanken können.
Vielen Dank für Ihre Spende!
«Damit ermöglichen Sie Kindern, Jugendlichen und älteren Frauen in Aguablanca ein würdiges und selbstbestimmtes Leben trotz Gewalt und Armut.»
Die Wende in María Ligias Leben
Doña Ligias Leben hat sich dank dieser Unterstützung von Grund auf verändert. Heute ist sie stolze Grossmutter, Therapeutin und eine bedeutende Leaderin ihrer Gemeinschaft. Sie sagt: «Dank der Bewegungskurse bin ich mir meines Potenzials bewusst geworden. Ich konnte meine Schüchternheit ablegen, bin selbstbewusster geworden und treffe heute eigene Entscheide. So war ich sehr froh, als wir nach dem Lockdown die Bewegungskurse mit Alicia wieder aufnehmen konnten, wenn auch nur in Kleingruppen. Das war für unser körperliches und seelisches Wohlbefinden sehr wichtig: Das Zusammenkommen hat uns geholfen, die allgegenwärtige Angst zu überwinden.»
Dank ihrer Eigeninitiative leitet Doña Ligia seit einigen Monaten eine Gruppe von Frauen, die sich jeden Tag frühmorgens zum Sport im Freien trifft. Wegen der Unsicherheit auf den Strassen ist dies sehr wichtig: Alleine Sport zu treiben wäre in dieser Gegend undenkbar. Sie umschreibt es so: «Wir gehen gemeinsam in den Park, wo wir unseren Bewegungskurs abhalten – umgeben von Bäumen und tropischen Vögeln, ein Paradies inmitten einer Gegend, in der die Angst die Bewegungsfreiheit einschränkt.»
Von Alicia Aurora Tellez | 9. März 2021 | Kolumbien
0 Kommentare
Teilen Sie uns Ihre Meinung mit!